Rotkehlchen und Kohlmeischen
Ein
Rotkehlchen und Kohlmeischen waren einst ein paar hübsche Dirnen, Töchter
einer alten frommen Witwe, die sich vom Spinnen, Nähen und Waschen und von
anderer Arbeit knapp aber doch ehrlich ernährte. Sie hatte nur diese beiden
Kinder, von welchen die älteste Grethchen und die jüngste Kathrinchen hieß.
Sie hielt, wie sauer es ihr auch ward, die Kinder immer nett und reinlich in
Kleidung und schickte sie fleißig zu Kirche und Schule, und als sie größer
wurden, unterwies sie sie in allerlei künstlicher Arbeit mit der Scheere und
Nadel und hielt sie still in ihrem Kämmerlein in aller Ehrbarkeit und
Tugend. Und Grethchen und Kathrinchen gediehen, daß es eine Freude war, und
wurden eben so hübsch und fein, als sie fleißig und ehrbar waren; so daß
alle Menschen ihre Lust an ihnen hatten und die Nachbarn sie ihren Töchtern
als rechte Muster zeigten und lobten. Die Wittwe starb und die beiden
Schwestern blieben in ihrem Häuschen und lebten, wie sie mit der Mutter
bisher gethan, von ihrer Hände Arbeit. Aber es blieb nicht lange mehr so
still in dem Häuschen, als es sonst gewesen war. Die Falken und Habichte,
welche auf schönes junges Blut lauren, merkten, daß die Hüterin weg war,
welche die Täubchen sonst bewacht hatte, und es fanden sich häufig lose
junge Gesellen ein, welche die Mädchen zu Tänzen und Gelagen und zu
Spaziergängen auf die Dörfer verlocken wollten. Die beiden Schwestern
wehrten sich einige Wochen tapfer, aber endlich ließen sie sich bewegen und
gingen mit und dachten, es kann doch wohl keine Sünde seyn, was so viele
Frauen und Mädchen thun, die niemand unehrlich nennt. Zuerst kam es ihnen
bei diesen Tänzen doch zu wild vor und sie sahen nicht einmal lange zu
sondern gingen früh weg und waren vor Sonnenuntergang wieder zu Hause und
ließen sich nicht bis in die Nacht hinein halten, wieviel die, welche sie
mitgenommen hatten, auch locken mogten. Das zweite und dritte Mal tanzten
sie schon mit, gingen aber bei Tage heim, und mit etwas schwerem Herzen, und
nahmen sich deswegen vor, den nächsten Sonntag zu Hause zu bleiben. Aber das
Worthalten war schwer, denn die jungen Gesellen kamen immer wieder und baten
zu schön. Das vierte und fünfte Mal blieben sie schon bis nach
Sonnenuntergang, und das sechste und siebente Mal hatte die Glocke zwölf
geschlagen, als sie heim kamen, und sie mußten ihre Wirthin herauspochen,
daß sie ihnen die Thüre aufschlösse, und als die alte Frau sie ermahnte und
sie ihrer seligen Mutter erinnerte, lachten sie schon und sprachen: Ach! die
Mutter und ihr! wann die Mäuse keine Zähne mehr haben, schelten sie auf die
Nußknacker; ihr werdet auch getanzt haben, als ihr jung waret.
Die Mädchen waren zu Hause noch immer sehr fleißig, auch hatten sie noch
nichts Unehrbares gethan noch gelitten, aber die Thüre zum Bösen war
geöffnet, und Leichtsinn und Leichtfertigkeit nahmen von Tage zu Tage zu,
und nun ward auch schon mancher kostbare Wochentag mit Nichtsthun und
Herumprangen vertändelt und verquändelt, den sie sonst auf nützliche Arbeit
verwendet hatten. Auch in ihrem Kämmerchen mußte alles anders werden; die
Vögel waren lustig und bunt geworden, es mußte alles blankere und
zierlichere Federn anziehen: neue Tische, neue Stühle, neue Vorhänge,
feinere Kleider und Schuhe. Aber mit dem alten Hausrath schien auch der
mütterliche Segen, der bisher sichtbar auf den Kindern geruht hatte, aus dem
Hause gezogen zu seyn. So schlich sich das Unglück mit dem Leichtsinn ein;
erst hielt sie der Böse nur an einem dünnen seidenen Fädchen, zuletzt hat er
sie mit einem dicken Kabeltau der Sünde umflochten und sie haben die Schwere
und den Schmutz desselben gar nicht mehr gefühlt.
Grethchen und Kathrinchen hatten immer viele schöne Arbeit und kostbare
Zeuge unter Händen, woraus sie Schmuck und Kleider stickten und näheten. Sie
gebrauchten jetzt mehr Geld als sonst, sie fingen allmälig an zu mausen,
ach! sie stahlen zuletzt. Einmal hatten sie einen bunten seidenen Rock
gestohlen, der in einem Nachbarhause am Fenster hing, und an einen
herumziehenden Juden verkauft. Ein armer Schneidergesell, bei welchem man
viele bunte Lappen und Streifen Zeug gefunden, die er auch wohl gemaust
haben mogte, war darüber angeklagt, gerichtet und gehängt worden. Er hing
und baumelte an dem lichten Galgen. Eines Abends spät kamen die beiden
Dirnen mit andern Gesellen und Gesellinnen von einem Dorftanze zurück und
der Weg ging an dem Galgen vorbei. Da rief einer aus der Schaar, ein
leichtfertiger Gesell: Fritz Schneiderlein! Fritz Schneiderlein! wie theuer
wird dir dein bunter Rock! Kaum aber hatte er das Wort gesprochen, so schlug
die Sünde wie ein Blitz in die beiden Dirnen, die schuld waren an des armen
Schneiders Tod. Sie stürzten beide wie todt zur Erde hin, und die andern,
die es sahen, liefen voll Schrecken weg, als hätten ihnen alle Galgenvögel
schon in dem Nacken gesessen. Sie haben die Geschichte in der Stadt erzählt,
und die Leute sind hingegangen, aber die beiden Dirnen haben sie nimmer
gefunden.
Und wie hätten sie sie finden sollen? Sie waren in Vögel verwandelt und
müssen nun in der weiten Welt herumfliegen. Grethchen ist ein Rothkehlchen
geworden und Kathrinchen ein Kohlmeischen; denn Grethchen trug immer ein
rothes seidenes Tuch um den Hals und Kathrinchen ein gelbes. So müssen sie
nun als kleine Vögel in den Wäldern rundfliegen und Hunger und Durst leiden,
Hitze und Kälte aushalten und vor Sperbern und Falken, vor Schlangen und
Ottern, vor Jägern und wilden Buben zittern. Das hatte ihre Mutter wohl
nicht gedacht, als sie so sittig und fein mit ihr in dem Kämmerlein saßen
und stickten und webten und näheren und Abends und Morgens bei dein
Zubettgehen und Aufstehen mit heller Stimme geistliche Lieder sangen. Aber
die armen Kinder sind zuerst verlockt dann verführt und so endlich in
schwere Sünden gefallen, und haben kaum gewußt, wie sie dazu gekommen sind:
so leise und sanft hat der Leichtsinn sie seinen Schlangenblumenweg geführt.
Daß diese kleinen Vögel einst Menschen gewesen, ist ganz natürlich, und man
kann es auch daraus sehen, daß sie immer um die Häuser der Menschen fliegen,
auch oft durch die offenen Fenster in die Zimmer kommen und sich da fangen
lassen, auch daß sie im Walde, so wie sich nur Menschen da sehen lassen,
sogleich um sie herumflattern und herumzwitschern. Sie haben auch die alte
Unart im Vogelkleide noch nicht abgelegt und können das Mausen nicht lassen
sondern sind noch immer Erzdiebe, und wo nur etwas Buntes und Neues und
Schimmerndes ausgehängt wird, da fliegen und schnappen sie darnach, und
werden daher keine Vögel leichter in Fallen und Schlingen gefangen als diese
beiden, und müssen Grethchens und Kathrinchens gefederte Urenkel es noch
entgelten, daß sie einst zuviel auf Kirmisse und Tänze gegangen und den
bunten Rock gestohlen haben, worum der Schneider hangen mußte. Die Menschen
jammert es sehr, wann sie Rothkehlchen und Kohlmeischen in den Schlingen
hangen sehen, und sie rufen wohl: ach! die armen niedlichen Vögelein! Denn
sie sind wirklich sehr niedlich und hübsch, und waren einst auch niedliche
und hübsche Dirnen, ehe sie von bösen Buben verführt wurden, und lebten als
fromme einfältige Kinder und meinten und wußten nichts Arges.
Aus dieser Geschichte lernt man, daß es wohl wahr ist, was weise Leute
sagen, daß mancher einen bunten Rock trägt, worin ihm nicht wohl ist, und
daß manche bunte Röcke tragen, wozu sie nicht gut gekommen sind. |